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Angehörige als tragende Säule einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung in der Langzeitpflege

  • Simon
  • 30. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit
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von Christian Graf

Angehörige leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Lebensqualität von Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeeinrichtungen. Während der öffentliche Fokus in der stationären Langzeitpflege oft auf der professionellen Betreuung durch Pflege- und Betreuungsteams liegt, wird die Rolle der Angehörigen häufig unterschätzt. Dabei sind sie nicht nur emotionale Stütze, sondern auch wichtige Bezugspersonen, die den Alltag der Bewohnenden mitgestalten und mittragen.
Angehörige sind zudem selbst Teil der Zielgruppe in der Langzeitpflege. Sie sind die Expertinnen und Experten für die individuelle Lebenssituation ihrer nahestehenden Personen. Ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Nähe sind entscheidend, um eine bedürfnisorientierte Betreuung zu ermöglichen. Das Wohlbefinden und das Glück der Bewohnenden hängen wesentlich davon ab, wie gut und wie umfassend Angehörige einbezogen werden können. Ihre Mitwirkung bei Aktivitäten, im Alltag und bei pflegerischen Entscheidungen ist ein zentraler Bestandteil einer ganzheitlichen Versorgung.

Angesichts der wachsenden demografischen Herausforderungen und des zunehmenden Fachkräftemangels gewinnt die Zusammenarbeit mit Angehörigen zusätzlich an Bedeutung. Eine enge Einbindung kann nicht nur die Qualität der Betreuung verbessern, sondern auch das Pflegeteam entlasten und die Kontinuität im Alltag der Bewohnenden stärken.
Gleichzeitig stehen Angehörige selbst vor grossen Herausforderungen. Die Begleitung eines nahestehenden Menschen im Heim erfordert Kraft, Geduld und die Bereitschaft, vertraute Rollen neu zu denken. Umso wichtiger ist es, sie gezielt zu unterstützen, zu entlasten und aktiv in die Versorgung einzubeziehen. Denn gestärkte Angehörige tragen wesentlich dazu bei, dass Pflegebeziehungen gelingen und Vertrauen wachsen kann.

Die Stiftung Blumenrain engagiert sich dafür, die Zusammenarbeit mit Angehörigen weiter zu stärken und zukunftsgerichtete Konzepte zu entwickeln. Ziel ist eine partnerschaftliche Kultur, in der Angehörige, Fachpersonen, Freiwillige und Aktivierungsmitarbeitende gemeinsam zum Wohl der Bewohnenden beitragen.
Die folgenden Erfahrungsberichte geben Einblick in die Perspektiven von Angehörigen. Sie zeigen, wie vielfältig, berührend und bedeutend diese Beziehungen im Heimalltag sind und welches Potenzial in einer offenen, respektvollen Zusammenarbeit liegt.
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Abschied in Würde - von Heidi McDaid

Liebe Frau McDaid, wie würden Sie rückblickend die Situation von Ihnen und Ihrer Mutter in ein paar Sätzen beschreiben? Was war besonders?

Der Umzug in ein Pflegeheim ist ein einschneidendes Ereignis. Meine Mutter war eine lebensfrohe, positiv eingestellte Frau, die Bewegung liebte, grossen Wert auf Ästhetik legte und eine perfekte Gastgeberin war. Der Eintritt in die geschützte Demenzabteilung war auch für mich eine grosse Herausforderung. Mami realisierte, dass ihr die Freiheit zur Selbstbestimmung genommen wurde, trotz Demenz. Das machte mich traurig, und ich fragte mich nach jedem Besuch, ob ich das Richtige getan hatte. Nach einigen Wochen stellte ich mir diese Frage nicht mehr. Ich sah, wie sie sich einlebte und auch Vorteile erkannte.
Unsere Beziehung vertiefte sich auf eine Weise, wie wir sie zuvor nicht erlebt hatten. In der ersten Zeit gingen wir fast täglich spazieren. Sie war stolz, mit 93 Jahren noch so fit zu sein. Wir sprachen viel über die Vergangenheit und Familienerlebnisse. An Regentagen sassen wir auf dem Sofa, schauten alte Fotos an, hielten uns an den Händen und umarmten uns - etwas, das früher selten vorkam. Die Zeit fehlte, ich war berufstätig, sie oft unterwegs. Früher war sie unabhängig und selbstbestimmt. Das Heim gab uns die Möglichkeit, uns auf neue Weise näherzukommen. Die grösste Hürde war für sie, dass sie nicht mehr nach Hause zurückkehren konnte. Anfangs war das schwer zu akzeptieren. Doch mit der Zeit erkannte sie die Vorteile, etwa die Entlastung von alltäglichen Aufgaben wie dem Kochen.


Wie haben Sie Ihre Besuche bei Ihrer Mutter und den Kontakt zu anderen Personen im Heim erlebt?

Auch für mich war diese Phase eine emotionale Reise. Ich fühlte mich im Heim stets willkommen, das Personal unterstützte mich in schwierigen Momenten. Anfangs waren die Besuche von Schwermut begleitet, doch das änderte sich, als ich sah, wie wohl sich meine Mutter fühlte. Ich lernte andere Menschen kennen, mit denen ich mich austauschte. Diese Kontakte waren geprägt von gegenseitiger Unterstützung. Während Ferien oder längerer Abwesenheit trafen wir Absprachen, um unsere Liebsten gegenseitig zu besuchen. So blieb niemand allein, und es entstanden wertvolle Beziehungen - nicht nur unter den Besuchenden, sondern auch zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern. Besonders tröstlich war für mich die Gewissheit, dass ich jederzeit anrufen konnte, um mich nach dem Befinden meiner Mutter zu erkundigen. Auch in unsicheren Momenten oder bei Krankheit wurde ich ernst genommen. Das Pflegepersonal begegnete mir stets mit Offenheit und Verständnis.


Wie erlebten Sie die letzte Phase des Heimaufenthalts Ihrer Mutter, bevor sie verstarb?

Als die letzten Tage meiner Mutter kamen, spürte ich die grosse Fürsorge des Teams. Ihre Aufmerksamkeit und ihr Mitgefühl halfen uns als Familie, sie bis zum letzten Atemzug zu begleiten. Wir waren an ihrer Seite, fühlten uns getragen und nie allein gelassen. Rückblickend kann ich sagen: Wir haben nichts vermisst. Wir hatten eine kostbare gemeinsame Zeit, geprägt von Liebe, Fürsorge und Nähe. Das Heim bot uns Rückzug, Ruhe und die Gewissheit, dass meine Mutter in guten Händen war bis zum Ende ihres Weges.
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Ein gemeinsamer Weg - von Silvia Sacher

Liebe Frau Sacher, was macht Sie besonders dankbar für die gemeinsamen Stunden mit Ihrem Ehemann?

Ich bin sehr dankbar, dass ich noch Zeit mit meinem Ehemann verbringen darf. Unser gemeinsames Leben war reich an Erlebnissen. Wir liebten das Wandern, Turnen und Reisen. Er war ein ruhiger, reflektierter Mensch, der gut zuhören konnte und mir stets Halt gab. Besonders schön war es, nach einem intensiven Yoga-Seminar nach Hause zu kommen und mit ihm in den Alltag einzutauchen. Diese Nähe und Vertrautheit bedeuten mir bis heute sehr viel.


Wie organisieren Sie heute Ihren Alltag mit Heimbesuchen und anderen Verpflichtungen?

Ich besuche das Heim regelmässig, oft mehrmals pro Woche. Daneben habe ich ein aktives Leben mit Yoga, Haushalt, Familie und sozialen Kontakten. Es braucht eine gute Planung, um allem gerecht zu werden. Wichtig ist auch, Hilfe anzunehmen und Aufgaben abzugeben, wenn es nötig ist. Ich habe gelernt, Unterstützung zu suchen, zum Beispiel bei Pro Senectute oder der Beratungsstelle BPA Leimental. Besonders wertvoll ist für mich der Kontakt zu anderen Angehörigen. Der Austausch, das gegenseitige Verständnis und die kleinen Gespräche zwischendurch geben Kraft und entlasten.


Wie hat sich die Situation mit Ihrem Ehemann seit dem Krankheitsbeginn entwickelt?

Die ersten Anzeichen zeigten sich etwa zwei Jahre vor dem Heimeintritt. Er verwechselte Dinge, vergass Abläufe und suchte mich, wenn ich nicht da war. Zuerst dachte ich, es hänge mit seiner Augenerkrankung zusammen. Erst der Arzt sprach offen von Demenz. Ein besonders schwieriger Moment war, als meine Tochter und mein Exmann ihn für einen Ferienaufenthalt ins Heim begleiteten. Ich konnte das nicht selbst tun, weil ich wusste, dass er mich nicht hätte gehen lassen. Die Entscheidung wurde von Teilen der Familie nicht verstanden, was meine Schuldgefühle verstärkte. Nach dem Aufenthalt wurde mir mitgeteilt, dass ein Platz frei sei. Das Personal erklärte offen, dass eine Rückkehr nach Hause kaum mehr möglich sei. Diese Nachricht traf mich hart. Ich war traurig, wütend und erschöpft. Unsere Beziehung war durch die Krankheit stark belastet. Erst nach dem fixen Heimeintritt konnte ich mich erholen. Heute ist unsere Verbindung wieder stabiler, und ich bin überzeugt, dass der Schritt ins Heim richtig war.


Wie erleben Sie heute Ihre Besuche im Heim und den Kontakt mit anderen Betroffenen und dem Personal?

Mein Mann wird gut betreut, und auch ich erfahre viel Unterstützung. Das Pflegepersonal und die Leitung sind offen und hilfsbereit. Natürlich gibt es Dinge, die verbessert werden könnten. Ich würde mir mehr Ausflüge und Aktivitäten ausserhalb des Wohnbereichs wünschen sowie leichtere Abendmahlzeiten. Besonders wichtig ist mir der Austausch mit anderen Angehörigen. Es haben sich Freundschaften entwickelt, und ich habe gemerkt, dass ich mit meinen Sorgen nicht allein bin. Die gegenseitige Unterstützung tut gut. In Gesprächen findet man Trost, Verständnis und neue Perspektiven. Ich wünsche mir, dass die Menschlichkeit im Heim immer im Mittelpunkt steht. Wenn Angehörige sich einbringen, stärkt das nicht nur die Beziehung zu den eigenen Liebsten, sondern auch das Miteinander mit dem Personal. Davon profitieren alle, besonders die Bewohnerinnen und Bewohner. Diese Form der Gemeinschaft ist für mich zu einem wertvollen Bestandteil des Alltags geworden.
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Eine Liebe, die bleibt - von Marianne Felder

Liebe Frau Felder, wie würden Sie Ihre Situation in ein paar Sätzen beschreiben?

Mit grosser Dankbarkeit blicke ich auf mein Leben mit meinem Ehemann zurück, einem kreativen und kunstversierten Menschen, dessen Welt sich durch die schleichende Krankheit zunehmend verändert hat. Der Übergang in die geschützte Demenzabteilung begann mit einem Ferienbett. Zehn Tage, die mir schnell bewusst machten, dass eine Rückkehr nach Hause nicht mehr möglich sein würde. Das Heim informierte uns frühzeitig, damit wir in Ruhe eine Entscheidung treffen konnten. Eine Zimmerbesichtigung war für mich wichtig. Zuerst bezog er ein Doppelzimmer mit einem anderen Herrn, später dann ein Einzelzimmer.


Wie hat sich die Krankheit entwickelt, bis es zum Heimeintritt kam?

Die Krankheit entwickelte sich leise und unaufhaltsam. Zuerst verlor mein Mann das Interesse an seinen Lieblingsbeschäftigungen, dann den Faden in Gesprächen. Anfangs dachte ich, seine Schwierigkeiten lägen am Gehör. Doch irgendwann sagte er: «Ich höre es, aber ich verstehe es nicht.» Ein Sturz beim Tischtennis, einem seiner Hobbys, führte 2019 zu einer Hirnblutung, die das Fortschreiten der Krankheit beschleunigte. Zuhause wurde er zunehmend unsicher, verlor die Orientierung. Sprachprobleme kamen hinzu. Er wollte sprechen, konnte es aber nicht. Das war ein grosses Dilemma für ihn und für mich. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, auch wenn es nicht immer einfach war. Um besser mit der Situation umzugehen, suchte ich Informationen, sprach mit Fachpersonen und tauschte mich mit anderen aus. Das half mir, die Krankheit besser zu verstehen und im Alltag gelassener zu reagieren.


Wie gestalten sich heute Ihre Kontakte bei uns im Heim?

Heute sind die Tage unterschiedlich. Manchmal nimmt er mich kaum wahr, manchmal antwortet er klar. Unsere Beziehung hat sich verändert. Seine Welt und meine Welt sind nicht mehr dieselbe. Es ist, als würden wir nebeneinander leben, in zwei verschiedenen Wirklichkeiten. Doch es gibt Lichtblicke. Neue Freundschaften mit anderen Angehörigen, gemeinsame Abendessen und die Treffen der Angehörigengruppe geben mir Kraft. Die Angehörigengruppe ist für mich eine wichtige Stütze. Dort kann ich offen über meine Erfahrungen sprechen, Fragen stellen und von anderen lernen. Es tut gut, mit Menschen im Austausch zu sein, die Ähnliches erleben. Man fühlt sich verstanden und nicht allein. Die Gespräche geben neue Impulse, helfen im Umgang mit schwierigen Situationen und entlasten emotional. Hier im Heim kann ich der Versorgung nur ein Kränzchen winden. Die Unterstützung und das Miteinander machen den Alltag leichter. Und trotz aller Herausforderungen bleibt eines bestehen: die Liebe, die uns über sechs Jahrzehnte getragen hat


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